DJ Richie Hawtin: „Ich fand die Idee zunächst lächerlich“ (2024)

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Von: Arne Löffel

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DJ Richie Hawtin: „Ich fand die Idee zunächst lächerlich“ (1)

Der kanadische Techno-Produzent und DJ Richie Hawtin hat zusammen mit dem Jazz-Pianisten Chilly Gonzales eine neue Version des Plastikman-Klassikers „Consumed“ veröffentlicht: „Consumed In Key“.

Herr Hawtin, Sie haben mal gesagt, dass jeder Drink auch seinen eigenen Beat habe – und Sake passe besonders gut zu elektronischer Musik. Geht das noch genauer? Welcher Sake passt zum Beispiel zu einer Band wie Massive Attack?

Hm. Da muss ich kurz überlegen. Zu Massive Attack würde ich Tamagawa servieren. Der Geschmack dieses Sake ist tiefgründig, stark, reichhaltig und leicht rauchig.

Um einen Antagonisten zu bilden: Welcher Sake passt gut zu Aphex Twin?

Oh, da erinnere ich mich an eine kleine Destille, die ich in Japan kennengelernt habe. Der Sake heißt Taxi Driver, das Label auf der Flasche zeigt auch Robert De Niro aus dem Film. Der Sake hat viel Energie, ist rau und verrückt. Das passt sehr gut zur Musik von Richard D. James.

So viel zum Warmwerden. Wir sind ja eigentlich nicht hier, um über Sake zu sprechen, sondern über die Neubearbeitung Ihres Albums „Consumed“ aus dem Jahr 1998 durch den Pianisten Chilly Gonzales, das jetzt unter „Consumed In Key“ als Gemeinschaftswerk veröffentlicht wird. An dieser Stelle trotzdem wieder die Frage an den Sake-Sommelier: Wie hat sich der Geschmack des Albums durch die Neubearbeitung verändert?

Das ist eine sehr, sehr schöne Art, sich dem Thema zu nähern. Es gibt da eine Geschmacksrichtung beim Sake, die meiner Meinung nach gut zu „Consumed“ passt. Sie nennt sich Sake Daj-ginjo, ist sehr fokussiert, sehr reduziert und wohlartikuliert. Daj-ginjo zeichnet beide Alben aus, aber die Zutaten haben sich bei der neuen Bearbeitung verändert. Beim Sake ist für den Geschmack die Art entscheidend, wie der Reis ausgewählt und behandelt wird. Von daher würde ich sagen, dass meine Ursprungsversion mehr Textur hat, aber dass sich durch das veränderte Reis-Rezept mehr Fülle im Album entfaltet hat. Im Grunde hat das Album eine ganz neue Persönlichkeit bekommen.

Haben Sie mit Chilly Gonzales denn gemeinsam an der neuen Version gearbeitet?

Nein, Chilly ist ganz ohne mein Zutun vor einigen Jahren auf „Consumed“ aufmerksam geworden und hat das Projekt alleine begonnen. Er hat es gehört und dann angefangen, Piano-Spuren über mein Album zu improvisieren und zu komponieren. Das hat er unserem gemeinsamen Freund Tiga (DJ, Produzent und Label-Gründer von Turbo-Records, Anm. d. Red.) vorgespielt, der mich dann wiederum informiert hat. Da ich weiß, dass Tiga ein sehr großer „Consumed“-Fan ist und ich ihm vertraue, habe ich mich natürlich damit beschäftigt, was da passiert.

Wie war das für Sie, dass ein anderer Künstler Ihr Werk bearbeitet?

Ich war berührt und fühlte mich zugleich angegriffen. Natürlich ehrt es mich, dass sich ein Künstler wie Chilly mit „Consumed“ beschäftigt und seine Zeit investiert, ohne dass klar ist, ob das jemals veröffentlicht wird. Aber auf der anderen Seite habe ich mich schon gefragt, was das jetzt soll.

Chilly Gonzales lässt sich im PR-Beipackzettel des Albums mit den Worten zitieren, dass er das Album beim Hören als „bedrohlich“ empfunden habe und „Consumed“ mit seinem Piano- und Cellospiel das zurückgegeben habe, was ihm fehle: Melodie.

Das war aus der ganz frühen Anfangszeit der Kommunikation zu dem Album. Chilly und ich sind auch ziemlich spät im Prozess erst in den wirklichen kommunikativen Austausch gegangen, das lief alles über Tiga als Mediator. Allerdings kann ich diese Aussage bis heute nicht ganz nachvollziehen. Ich sehe es überhaupt nicht so, dass „Consumed“ jemals etwas gefehlt hat. Das Album war komplett so, wie es ist. Ich empfand es zunächst auch als eine lächerliche Idee, etwas hinzufügen zu wollen.

Sie haben früher mal gesagt, dass Sie bei der Produktion des Ursprungsalbums so viele Sounds eliminiert haben, dass es sich bei „Consumed“ um den Schatten von Musik handelt.

Ja, das ist auch so. Damals war die TB-303, die Acid-Sound-Machine, ein sehr beliebtes Instrument in der elektronischen Musik. Ich wollte bei der Produktion von „Consumed“ das Feeling der 303 transportieren, ohne die 303 zu benutzen. Der Verzicht auf diesen Sound hat das Album immer weiter dazu getrieben, völlig auf Melodie zu verzichten. Es war kein Album, das im Club lief. Es ist bis heute ein Album, das man zuhause hört, bewusst hört.

Zur Person:

Richie Hawtin , geboren 1979 in Oxfordshire, England, aufgewachsen in der Nähe von Detroit, ist Musiker, DJ und Produzent. Er hat das Genre maßgeblich mitgeprägt und unter Pseudonymen wie Plastikman oder F.U.S.E. veröffentlicht. Er gilt als Pionier des DJ-Mixings, also der Erweiterung des Plattenmixens um elektronische Instrumente. Im Jahr 2007 machte Hawtin in Japan eine Ausbildung zum Sake-Sommelier und ist nun Welt-Botschafter der Japan Sake Brewers Association.

Chilly Gonzales , geboren 1972 als Jason Charles Beck in Montreal, Kanada, ist Jazz-Pianist und Komponist. Er wandte sich der Popmusik zu und arbeitete bereits mit Musikern wie Feist, Peaches und Mocky. Seit 2017 hat Chilly Gonzales die Arbeit mit Jarvis co*cker intensiviert und unter anderem ein Konzeptalbum zur „Traumfabrik“ Hollywood veröffentlicht.

Das Album „Consumed“ wurde 1998 auf m_nus, dem Label von Richie Hawtin, veröffentlicht. Es war sein viertes Studio-Album. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung war es kein kommerzieller Erfolg, wird retrospektiv aber als ein Meilenstein des Techno betrachtet.

„Consumed In Key“ erscheint am 1. April digital und als Deluxe-Dreifach-Vinyl-LP digital bei Turbo Recordings. alö

Umso mehr ist es verwunderlich, dass Sie der Nachbearbeitung durch Chilly Gonzales überhaupt zugestimmt haben.

Ohne Tiga als Vermittler und mein Grundvertrauen in Chillys Fähigkeiten wäre es auch nicht so weit gekommen. Aber so habe ich Chilly zunächst völlig freie Hand gelassen und mir nur vorbehalten, in meinem Studio die finale Bearbeitung vornehmen zu können. Das war nicht einfach für mich, auch, weil „Consumed“ gar nicht in einzelne Spuren zerlegt in meinem Studio existiert. Das, was Sie hören, ist im Grunde auch das, was ich zuhause habe. Dazu kam noch, dass ich beim Einbauen von Chillys Sound-Spuren wohl unterbewusst versucht habe, seine Arbeit komplett in „Consumed“, in diesem Schwarzen Loch, zu beerdigen. Aber so hat das weder für Chilly noch für mich funktioniert und wir hatten ziemlich viele Calls, weil Chilly mich immer wieder darauf hinweisen musste, dass er seine Arbeit gar nicht in der finalen Bearbeitung hören könne. Erst, als ich das zugelassen und mein Ego beiseitegelegt hatte, konnte ich dem Piano und dem Cello Raum in „Consumed“ geben. Erst dann wurde daraus etwas Magisches.

Sind Sie denn glücklich mit dem neuen Werk?

Ja, bin ich. Chilly hat durch seine Arbeit eine eigene Interpretation von „Consumed“ entstehen lassen. Das ist auch in Ordnung für mich, weil ich mir vor Augen führte, dass ich das als DJ ja ständig mit den Werken anderer Künstlerinnen und Künstler mache. Ich nehme deren Stücke beim Auflegen komplett auseinander, schraube die Bässe oder die Höhen raus, mixe die nächste Platte rein, ehe das Vocal kommt, und lege meine eigenen Sounds darüber. Ich bin mir sicher, dass die jeweiligen Artists die Stücke, die ich da auseinanderreiße, auch rund und perfekt fanden. Von daher sollte ich mich nicht beschweren. Es ist eine Form der Kunst, Dinge neu zu arrangieren, zu bearbeiten und dafür sollten die Ursprungswerke auch zur Verfügung stehen. „Consumed“ bildet da keine Ausnahme.

Haben Sie eigentlich jemals zuvor mit akustischen Instrumenten gearbeitet?

Nein, noch nie. Klar arbeite ich mit analogen Synthesizern, aber mir akustischen Instrumenten hatte ich noch nichts bei der Produktion zu tun. Das war auch eine interessante und herausfordernde Aufgabe.

Werden Sie in Zukunft wieder mit akustischen…

Nein!

…Instrumenten arbeiten?

Nein! Auf keinen Fall. Ich war noch nie ein Fan davon, akustische und elektronische Musik zu mischen. Das ist für mich wie Öl und Wasser. Das kann – wenn überhaupt jemand – nur Nils Frahm, weil er beides macht. Aber wenn dann einer kommt und sagt, lass uns doch mal dieses oder jenes Instrument sampeln, dann bekommt er von mir immer eine Abfuhr. Es gab vor ein paar Jahren auch mal eine orchestrale Aufführung eines Albums von mir, das hat für mich gar nicht funktioniert. Re-Interpretationen elektronischer Musik mit klassischen Instrumenten finde ich immer schwierig. Das sind einfach unterschiedliche Gedankenwelten. Ich will mich in Zukunft wieder stärker fokussieren, insbesondere auf die Idee des weniger ist mehr.

So wie bei „Consumed“?

Ja, wobei sich das sicherlich nicht wiederholen lässt. Es fällt mir auch zunehmend schwerer, mich zu fokussieren. Überall ist neue Technik, spannende Technik und ich lasse mich wirklich schnell ablenken. So war ich schon immer. Wenn ich in den kreativen Prozess einsteige, dann muss ich mich nahezu von allem abkoppeln. Ich weiß noch genau, dass ich 1998 Ende September ins Studio gegangen bin, um „Consumed“ aufzunehmen. Das war ein echt harter Winter und ich habe dann während des kreativen Prozesses auch immer weniger Auftritte gespielt. Ich habe die Spuren von „Consumed“ auf CD gebrannt und bin mit dem Auto durchs verschneite Detroit gefahren. Völlig ohne Ziel, nur auf der Suche nach Inspiration für die Sounds. Das ist eben eine meiner Persönlichkeiten. Ich nenne das den Plastikman-Mode. Unter diesem Pseudonym habe ich ja „Consumed“ veröffentlicht. Der Plastikman ist introvertiert und ein Nerd, Hawtin ist extrovertiert und genießt da Leben als DJ mit Partys überall auf der Welt. Aber im Grunde bin ich der Plastikman und je älter ich werde, desto mehr Plastikman werde ich. Das liegt vielleicht auch an Covid, aber ich bin jetzt mit meiner Frau und meiner Tochter seit zweieinhalb Monaten in Portugal und ich habe immer mehr Plastikman-Ideen. Wenn ich könnte, würde ich Social Media komplett abstellen und den Menschen wieder nur die Zeitung als Informationsmedium geben, alles ein bisschen runterdimmen und wieder zu Vernunft kommen.

Sie haben kurz vor Covid eine App veröffentlicht, bei der die Menschen Teil Ihres Live-Sets werden können. „Closer“ heißt das Programm, bei dem man virtuell mit Ihnen auf der Bühne oder im Studio steht. Ist das von der Idee her nicht ein ziemlicher Kontrast zu dem, was Sie da gerade gesagt haben?

Finde ich nicht. Ich habe die involvierende Art der elektronischen Musik zwar immer geschätzt, aber die App „Closer“ gibt mir die Möglichkeit, die Illusion der Nähe zu erzeugen. Das kommt meiner introvertierten Seite zugute. Ich möchte schon, dass die Menschen Teil meiner Musik sind, aber ich finde die Idee immer reizvoller, das aus meinem Studio heraus zu ermöglichen. Web3, das Metaverse, private Discord-Gruppen – das sind alles Instrumente dafür, die ich sehr interessant finde. Ich will nicht mehr so viel reisen und möchte lieber die Technik nutzen, um mit meinen Zuhörerinnen und Zuhörern intime Momente zu kreieren. Die Idee, mit Shows Geld zu verdienen, ohne jedes Wochenende in ein Flugzeug springen zu müssen, ist natürlich auch reizvoll, zumindest im Moment. Aber wenn der extrovertierte Hawtin wieder die Oberhand gewinnt, werde ich ihn gewiss nicht wegschicken.

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